Die Künstlerinnenfreundschaft von Pauline Viardot und Clara Schumann #2

Briefe zu meinem Programm „Die Künstlerinnenfreundschaft von Pauline Viardot und Clara Schumann in Briefen und Liedern“

Frankfurt, 22. August 1838

Meine liebste Clärchen,
es ist mir als ob ich seit einem Jahrhundert Sie nicht gesehen hätte. Da ich keine Nachrichten von Ihnen erhalten habe, so muss ich selbst schreiben um die Ursache davon zu fragen. Ich hoffe dass Sie in guter Gesundheit sind und Ihre alte Freunden nicht vergessen haben. Wenn Sie an mich so viel gedacht als ich an Sie, so bin ich zufrieden. Was haben Sie schönes gethan seitdem wir uns gesehen? Haben Sie viel componirt? Ja? Nun, das freut mich. Sie werden mir Ihre neue Compositionen in Brüßel bald hören lassen, nicht wahr? Ich habe Ihre Ankunft in des Herrn Fétis musikalische Zeitung melden lassen. Man ist sehr neugierig Sie zuhören. In allen unseren Briefen nimmt die böse Clärchen den schönsten Raum. Selbst unser Clavier ist so ungeduldig, Ihre Finger zu fühlen, dass, wenn Sie Ihre Ankunft noch versäumen, so wird es seinen Platz bei der Fuhrpost bezahlen und auf eigene Unkosten die Reise nach Leipzig machen. Ihr Herz würde doch nicht so böse, um es die Füßchen risquiren zu lassen – ach Clärchen mein, komm ja recht bald!
Sie sehen daß wir haben noch keine große Reise gemacht. Seitdem wir Leipzig verlassen, sind wir nur in Weimar gewesen – da haben wir bei der Großherzogin gespielt und gesungen und haben am Ende der Soirée sehr hübsche Geschenke bekommen – Carl [Pauline Viardots Schwager Charles de Bériot und Mann der 1836 verstorbenen Maria Malibran] ein sehr schöner Ring und ich zwei dicke Boules italiennes ins Haar zu stecken.
Freitag haben wir ein sehr schönes Concert hier in Frankfurt gegeben, gestern in Wiesbaden, und diesen Abend ein zweites hier. Sie sehen wir verlieren keine Zeit. Ach ich muß Ihnen was sagen, daß Ihnen gefallen wird. Gestern in Wiesbaden haben wir den berühmten Meyerbeer gesehen, welcher von Schwalbach gekommen war mich zu hören. Er war ungeheuer zufrieden, er will durchaus eine Oper für mich componiren [Text fehlt an dieser Stelle; 1849 sang Pauline Viardot die Fidès in der UA von Meyerbeers Grand Opéra „Le Prophète“], sagte es wäre ganz gewiß [Text fehlt] die Rolle die er für mich schreibe die beste von allen sey die er noch componirt hatte – nicht wahr es ist gut?
Jetzt seh ich erst daß mir kein Platz mehr bleibt – Adieu liebstes Kind denke mein wie ich dein denke. Meine freundschaftlichsten Empfehlungen zum Vater und — …. Freunden. Vergessen Sie nicht die gute Frau von Berg.
Adieu – nein, auf Wiedersehen –
Pauline Garcia

Schreiben Sie mir bald und schicken Sie Ihr ersehnten Brief nach Brüßel. Ich hoffe Sie werden gute Nachrichten von Leipzig und seinen Bewohner geben. Die Mutter [Pauline Viardots Mutter Joaquina Sitchèz war auch Sängerin] und der Carl [Charles de Bériot] grüßen.

Die Künstlerinnenfreundschaft von Pauline Viardot und Clara Schumann #1

Das Kennenlernen – 1838

Als Clara Wieck und Pauline Garcia einander im Juni 1838 in Leipzig trafen, befanden sie sich an unterschiedlichen Punkten in ihrer künstlerischen Laufbahn. Der 18-jährigen Clara Wieck war im März der Titel der kaiserlich königlichen Kammer-Virtuosin des Wiener Hofes verliehen worden. Damit war sie als international konzertierende und komponierende Künstlerin eine europäische Berühmtheit. Die zwei Jahre jüngere Pauline Garcia hatte gerade ihre Laufbahn als Sängerin begonnen und gab im Rahmen ihrer ersten Konzertreise mit ihrem Schwager, dem Geiger Charles de Bériot Konzerte im Leipziger Gewandhaus.
Das Kennenlernen der beiden ist von großem gegenseitigen Respekt geprägt. Am 24. Juni 1838 notierte Clara Wieck im Tagebuch: „Nachmittag besuchte ich die Garcia und fand in ihr ein liebenswürdiges anspruchsloses Mädchen und eine echte Künstlerseele.“ Ihre ersten Eindrücke aus Pauline Garcias Leipziger Konzert schildert Clara Wieck einen Tag später in ihrem Tagebuch:
„Abends Concert von de Beriot und Pauline Garcia bei einem ziehmlich [sic!] vollen Saale. […] Pauline Garcia ist eine interessante und sicher die musikalischste Sängerin, welche jetzt existirt. Ihre Stimme ist sehr umfangreich, jedoch der Uebergang von einem Register in das Andere nicht studirt, sowie sie überhaupt noch keine gute Schule hat, was Ihr auch schwer werden wird, da ihre innere Musik so groß, daß sie nicht viel mechanisches Studium zulassen wird. Im Wesen scheint sie ganz das Ebenbild ihrer Schwester, der Malibran. Am interessantesten waren die französischen und spanischen Lieder, welche sie, so wie Alles, auswendig sang und sich dazu selbst begleitete, ohne auf das Clavier zu sehen. Der Rataplan von ihrer Schwester componirt und ganz so vorgetragen wie ihn Ihre Schwester vorgetragen haben muß, war das effektvollste. Sie sang es höchst dramatisch, mit etlichen Grimassen, ganz sans gène [ungeniert].“ (CWTb 7, 11f.)

Dieser Eintrag zu Beginn ihrer Freundschaft zeigt zwei Aspekte, die kennzeichnend für das Verhältnis der beiden Künstlerinnen wurden: zum einen Clara Schumanns Bewunderung für Pauline Viardots künstlerische Vielseitigkeit und Leichtigkeit im Umgang mit Musik und zum anderen ihre Kritik an Pauline Viardots Repertoire-Wahl. Hier zählt nicht nur, was Clara Schumann erwähnt, sondern auch das, was sie nicht erwähnt. Die französischen und spanischen Lieder fand sie am interessantesten, die italienischen Arien, deren Musik sie wenig schätzte, die sich auch im Programm befanden, ließ sie bezeichnenderweise unerwähnt.

Neben ihrem Dialog über zeitgenössische Interpreten und Interpretationen tauschten sich die beiden jungen Frauen auch über eigene Kompositionen aus. Clara Wieck bewunderte die Leichtigkeit, mit der Pauline Garcia nicht nur interpretatorisch, sondern auch schöpferisch tätig war. Pauline Garcias Interesse an Claras Kompositionen blieb zumindest in der Korrespondenz unbeantwortet. Von Pauline Garcia sind weder Wertungen noch Aufführungen von Clara Wiecks Kompositionen bekannt. Scheinbar ohne Mühe komponierte Pauline Garcia auf Bitten Robert Schumanns das Lied Die Kapelle nach einem Gedicht von Ludwig Uhland.

Das Lied „Die Kapelle“ könnt ihr Euch hier anhören.

Schumann veröffentlichte es im September 1838 als musikalische Beilage in der Neuen Zeitschrift für Musik. Clara, die sich mit der Komposition meist schwer tat, fühlte sich zeitweise von Pauline Viardots Begabung eingeschüchtert:
„Pauline hätte mich können bewegen meine Kunst als Künstlerin nieder zu legen, wenn nicht der Vater um mich war und mich zurückführte auf das, was ich kann, und dass nicht ein Mensch so viele Talente haben kann wie der Andere. Nun, ich verstehe doch wenigstens Alles und Deine Musik, das ist schon beglückend für mich.“ (Weissweiler 1984a, 1, 213)

Im Juni und Juli 1838 besuchten sich die beiden Mädchen so oft wie möglich und musizierten miteinander:
„Wir haben viel musizirt, und die Garcia scheint eine Ausnahme von allen Sängerinnen zu machen – sie interessirt sich lebhaft für Musik. Beriot entfernte sich eher, sie aber blieb noch eine ganze Stunde. Die Mutter und sie reden uns sehr zu nach Paris zu gehen, und als Vater einige Einwendungen machte, wurde sie ganz hitzig. Ihre Leidenschaft ist groß, überhaupt scheint sie sehr ihrer Schwester, der verstorbenen Malibran de Beriot zu gleichen. (CWTb 7, 11f.)

Clara Wiecks Bemerkung lässt erkennen, dass sich Pauline Garcias Auseinandersetzung mit Musik deutlich vom damaligen Standard unterschied. Ihr lebhaftes, auch textkritisches Interesse an Musik führte dazu, dass sie sich neben dem Gesang schon früh auch auf anderen musikalischen Gebieten betätigte: Für die Violinetüden ihres Schwagers Charles de Bériot soll sie die Klavierbegleitung geschrieben sowie für Chopin die Korrektur der französischen Ausgaben seiner Werk vollzogen haben. Die gleiche Aufgabe übernahm Clara Schumann für die deutschen Ausgaben.

Die Künstlerinnenfreundschaft von Pauline Viardot und Clara Schumann #0

Liebe FreundInnen der Musik!

Heute startet also der erste Teil meiner kleinen Blog-Serie, mit der ich euch in die Künstlerinnenfreundschaft von Pauline Viardot und Clara Schumann einführen möchte. Aufbauend auf meiner Dissertation zu Pauline Viardot (2014) habe ich zwei CDs mit Liedern der beiden Komponistinnen veröffentlicht. Eine zweibändige Edition mit Liedern von Pauline Viardot von mir erscheint im Verlag Breitkopf & Härtel. Über weitere Projekte halte ich Euch gerne über meinen Newsletter auf dem Laufenden.

Der folgende Briefwechsel der beiden Musikerinnen war Grundlage des zweiten Kapitels meiner Dissertation und meines Konzertprogramms „Die zwei ältesten Freundinnen dieses Jahrhunderts“ – die Künstlerinnenfreundschaft von Clara Schumann und Pauline Viardot in Briefen und Liedern“, das mich bisher in fünf Länder geführt hat und das ihr so fleißig besucht habt. Als Dankeschön für Euer anhaltendes Interesse möchte ich die Briefe für Euch, mein liebes Publikum, an dieser Stelle veröffentlichen. Ich hoffe, ihr habt beim Lesen genauso viel Freude wie ich beim Schreiben!

Einleitung

Pauline Viardot und Clara Schumann, „die zwei ältesten Freundinnen dieses Jahrhunderts“, wie sie sich selbst in einem Brief von 1894 bezeichnen, lernen sich als Jugendliche 1838 in Leipzig kennen. Sie bleiben lebenslang in Kontakt. Ihr Briefwechsel erzählt die Geschichte einer fast sechzig Jahre andauernden Künstlerinnenfreundschaft. In ihren Briefen teilen sie berufliche Erfolge ebenso wie familiäre Tragödien. Im starken Kontrast ihrer Persönlichkeiten zeigen sich ihre Charaktere besonders deutlich. Die französische Sängerin mit spanischen Wurzeln legt mit sprühendem Temperament eine charmante, einnehmende Leichtigkeit an den Tag während die deutsche Pianistin mit ernsthaftem und nachdrücklichem Gemüt ihre Tiefgründigkeit zeigt.

Wir fragen uns: wie lernen sie sich kennen? Was thematisieren sie in ihren Briefen, was haben sie ausgespart? Was lässt sich möglicherweise nur zwischen den Zeilen erahnen? Welche Qualität hatte ihre Beziehung? Wie verstanden sie ihre Rolle als Musikerinnen? Welches künstlerische Selbstverständnis hatten sie als Interpretinnen? Wie war ihre Musizierpraxis? Welchen Künstlertypus verkörperten sie? Welche Sicht hatten sie auf die Musikwelt ihrer Zeit? Welche Rolle spielte ihre Eheschließung? In welchen Zusammenhängen traten sie gemeinsam auf? Welche Bedeutung hatte das Publikum für sie? Wie kam es dazu, dass sie gemeinsam in Baden-Baden lebten? Welche Rolle spielten ihre Familie? Welches Rollenverständnis hatten sie als Frauen ihrer Zeit? Fragen über Fragen, denen wir in den kommenden Tagen und Wochen nachgehen können.

Wenn ihr etwas aus dem Blog zitieren wollt, freue ich mich über folgende Zitierweise: © Wigbers, Miriam-Alexandra (2019f.): „Die Künstlerinnenfreundschaft von Pauline Viardot und Clara Schumann“ in: www.miriam-alexandra.de/category/viardot/ [Online-Publikation], [Datum der Veröffentlichung], [Abrufdatum] oder einen Hinweis auf meine Dissertation.